von Wisława Szymborska (1923 – 2012)

An-die-Tuer-des-Steins


Ich klopfe an die Tür des Steins.


"Ich bin's, mach auf.
Lass mich ein,
ich will mich umschaun in dir,
dich einatmen wie die Luft."


"Geh weg", sagt der Stein.
"Ich bin dicht verschlossen.
Sogar in Teile zerschlagen,
bleiben wir dicht verschlossen.
Sogar zu Sand verrieben,
lassen wir niemanden ein."

Ich klopfe an die Tür des Steins.
"Ich bin's, mach auf.
Ich komme aus reiner Neugier.
Das Leben ist meine einzige Chance.
Ich möchte deinen Palast durchschreiten
und dann noch das Blatt und den
Wassertropfen besuchen.
Ich hab nicht viel Zeit für das alles.
Meine Sterblichkeit sollte dich erweichen."

"Ich bin aus Stein", sagt der Stein,
"und muss gezwungenermaßen ernst sein.
Geh weg.
Lachmuskeln hab ich keine."

Ich klopfe an die Tür des Steins.
"Ich bin's, mach auf.
Man sagt, es gibt große leere Säle in dir,
unbetrachtet, vergeblich schön,
taub, ohne ein Echo von irgendwessen Schritten.
Gib zu, dass du selbst nicht viel davon weißt."

"Große und leere Säle", sagt der Stein,
"aber ohne Raum.
Schön, möglich, aber jenseits des
Geschmacks deiner ärmlichen Sinne.
Du kannst mich kennenlernen,
du wirst mich aber niemals erkennen.
Meine ganze Oberfläche wende ich dir zu,
meine Innenseite wende ich von dir ab."

Ich klopfe an die Tür des Steins.
"Ich bin's, mach auf.
Ich suche keine Zuflucht für ewig.
Ich bin nicht unglücklich.
Ich bin nicht obdachlos.
Meine Welt ist eine Rückkehr wert.
Ich komme herein und gehe mit leeren
Händen wieder hinaus.
Und zum Beweis, dass ich wirklich da war,
zeig ich nichts vor außer Worten,
denen niemand Glauben schenken wird."


"Du kommst nicht rein", sagt der Stein.
"Dir fehlt der Sinn der Anteilnahme.
Kein Sinn ersetzt dir den Sinn der Anteilnahme.
Selbst der bis zur Allsicht geschärfte
Blick nützt dir gar nichts ohne den Sinn der Anteilnahme.
Du kommst nicht rein,
hast kaum eine Ahnung von diesem Sinn,
kaum seinen Ansatz, eine Idee davon."

Ich klopfe an die Tür des Steins.
"Ich bin's, mach auf.
Ich kann nicht zweitausend Jahre warten,
bis ich eintrete unter dein Dach."

"Wenn du mir nicht glaubst", sagt der Stein,
"frag das Blatt, es wird dir dasselbe sagen.
Frag den Wassertropfen, er sagt dasselbe wie das Blatt.
Frag schließlich das Haar auf deinem Kopf.
Ich platze vor Lachen, vor großem Lachen,
vor Lachen, das ich nicht lachen kann."

Ich klopfe an die Tür des Steins.
"Ich bin's, mach auf."

"Ich hab keine Tür", sagt der Stein.